Kerstin Gier
Lea Korte: Liebe Kerstin, zuerst eine – für dich – sicher ganz einfache Frage: Wie wird man Bestseller-Autorin?
Kerstin Gier: Tja, manche angeblich über Nacht. Bei mir hat es über zehn Jahre und sehr, sehr viele Bücher gedauert J Und ich weiß immer noch nicht, wie genau das eigentlich passieren konnte.
Lea Korte: Okay, dann frage ich anders herum: Kann man marktorientiert schreiben? Und was heißt das: marktorientiert zu schreiben? Wer orientiert „einen“ da? Und zielt diese Marktorientierung auch auf den Handlungsort ab? Oder wie die Figuren „zu sein haben“?
Kerstin Gier: Na ja, ich glaube, es schadet nichts, den Markt zu beobachten und zu lesen, was die erfolgreiche Konkurrenz so schreibt – da kann man eine Menge lernen und sich auch viel wundern J – aber man muss schon sehr, sehr schnell sein, um einen Trend am Buchmarkt aufzugreifen und auf der Welle erfolgreicher Bücher ähnlichen Themas und ähnlicher Ausrichtung mitzuschwimmen. Auf die Dauer stelle ich es mir auch viel zu anstrengend vor, immer dem neusten Trend hinterherzuschreiben. Und ziemlich langweilig. Für mich heißt marktgerecht schreiben vor allem, eine Geschichte so zu erzählen, dass viele Menschen sie verstehen können und Figuren zu kreieren, mit denen sich viele Leser identifizieren können.
Lea Korte: Was ist wichtiger: auf den Markt zuzuschreiben – wenn das überhaupt geht – oder zu schreiben, was einem WIRKLICH am Herzen liegt?
Kerstin Gier : Das kommt darauf an. Es kann durchaus funktionieren, mit purem Kalkül ans Werk zu gehen. Als Berufsanfänger und/oder mit der Ambition, vom Schreiben leben zu können, bleibt einem oft gar nichts anderes übrig, als Verlagswünsche (und damit vermeintliche Marktbedürfnisse) zu erfüllen. Dabei bricht man sich sicher keinen Zacken aus der Krone. Ich habe das viele Jahre getan, eine Menge dabei gelernt und trotzdem durchaus Spaß an der Arbeit gehabt. Und es sind – auch das kann ich nach so vielen Büchern sagen –beileibe nicht immer die Projekte am erfolgreichsten gewesen, die mir am meisten am Herzen lagen. Trotzdem bin ich heute sehr dankbar, nur noch schreiben zu dürfen, was ich wirklich will. Das heißt aber nicht, dass ich Rat- und Vorschläge von Verlags- und Lektorenseite ausschlage – im Gegenteil, ich bin immer sehr dankbar für Input und Feedback.
Lea Korte: Wie wichtig ist es, in einen Fantasy-Roman eine (dem Leser) vertraute Umgebung zu integrieren? Oder anders herum gefragt: Wie viel Fantasy verträgt ein Fantasy-Roman?
Kerstin Gier: Das ist Geschmackssache. Ich mag Fantasy gerne sehr nah an unserer Wirklichkeit, so nah, dass der Leser denkt, die Magie ist auch für ihn nur einen Wimpernschlag entfernt. Weil ich glaube, dass es tatsächlich so ist …
Lea Korte: Ich habe mal einen Blick auf deine amazon-Rezensionen geworfen: Das erste Buch der Träume“ hatte am heutigen Tag 540 amazon-Rezensionen, „Für jeden Lösung ein Problem“ sogar 866 – und die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,5 Sternen. Das muss dir erst einmal jemand nachmachen. Machen dich so viele gute Bewertungen immun gegen (die verschwindend geringen) weniger guten Rezensionen? Oder „ärgern“ die einen irgendwie trotzdem?
Kerstin Gier: Früher habe ich da jeden Tag nachgeschaut, mich über Lob wahnsinnig gefreut, über Kritik nachgegrübelt und bei fiesen Bemerkungen geweint – heute schaue ich gar nicht mehr hin. Und das rate ich auch immer den Kollegen, die traurig und verunsichert sind, wenn jemand bösartig oder auch einfach nur gedankenlos über ihr Buchbaby herfällt. Das Empfinden eines Lesers beim Lesen eines Buches hängt von vielen persönlichen Faktoren ab, und ich muss mir als Autor klar darüber sein, dass meine Geschichte, meine Figuren und meine Art zu erzählen einfach nicht jedem Menschen in jeder Lebenslage und –phase gefallen können. Ich freue mich für jeden, der Spaß beim Lesen hat, für die anderen tut es mir leid.
Lea Korte: In deiner Edelstein-Trilogie gibt es einen „Klatsch-Blog“. Dort werden viele sehr private Informationen über einige deiner Romanfiguren veröffentlicht. Auch du bist viel in Facebook, suchst den Kontakt zu deinen Lesern – gibt es da eine Verbindung? Muss man auch als Autor heute ein Stück weit „gläsern“ sein, wenn man Erfolg haben will?
Kerstin Gier: Den Klatsch-Blog gibt es in der Silber-Trilogie, und ich fand es ein gutes Stilmittel, um die Geschichte mit Informationen anzureichern, die die Ich-Erzählerin nicht hat. Außerdem ist es ein schönes Gimmick für die Leser, wenn sie den Blog „in echt“ im Internet finden können. Facebook finde ich für mich persönlich äußerst praktisch, um auf direktem Weg mit den Lesern zu kommunizieren. Besonders aktiv bin ich aber gar nicht, im Durchschnitt poste ich ein-, zweimal in der Woche etwas, und auch nur, wenn mir was Nettes einfällt. Außerdem verlose ich viele von meinen Belegexemplaren, damit sie hier nicht verstauben.
Lea Korte: Wie würdest du deine Entwicklung als Autorin beschreiben? Fühlst du dich eher (von Anfang an) von der Muse geküsst – oder kannst du sagen: Ich haben einen guten, aber (vielleicht auch) harten Weg des Lernens zurückgelegt.
Kerstin Gier: Ich hatte wirklich viel Glück. Gleich mit dem ersten Versuch, einen Roman zu schreiben und dem ersten und einzigen Verlag, den ich kontaktiert hatte, nämlich Lübbe, traf ich auf eine Lektorin, die mich jahrelang mit Verträgen versorgt hat, ohne mir Verkaufszahlen und Trends unter die Nase zu reiben oder zu versuchen, mir Themen aufzudrängen, die mir nicht lagen. Ich durfte viel schreiben (auch viel Mist) und dabei viel lernen. Erst als mein Sohn auf der Welt war und die Zeit und die Energie nur noch für ein Buch im Jahr reichte, habe ich angefangen, das zu schreiben, was ich wirklich wollte, aber es hat noch Jahre gedauert, bis sich der große Erfolg eingestellt hat.
Lea Korte: Nun muss natürlich auch die Frage kommen, die ich allen Autoren stelle – und die für Anfänger auf dem Buchmarkt eine der wichtigsten ist: Wie schnell ist es dir gelungen, deinen ersten Roman bei einem Verlag unterzubringen? Hast du von Anfang an gewusst, dass du es „schaffen“ wirst, oder gab es auch Momente, in denen du an dir gezweifelt hast?
Kerstin Gier: Wie gesagt, ich hatte viel Glück. Oder es waren noch andere Zeiten: Im Jahr 1995 – ich war 28 und hatte gerade in einem Anfall von Leichtsinn und Wahnsinn meinen (dämlichen) Job hingeschmissen, um es ein Jahr lang mit dem Schreiben zu versuchen – hatte ein Manuskript offenbar eine Chance gelesen zu werden, auch wenn es völlig unprofessionell in einen roten Pappordner geheftet und in viel zu großer, schnörkeliger Schrift ausgedruckt war. Ich hatte den roten Ordner auf Drängen meiner Schwägerin an der Pforte bei Bastei Lübbe abgegeben und erhielt am nächsten Tag einen Anruf von der Lektorin, der mit der barschen Frage „Wie kommt das hier auf meinen Schreibtisch?“ begann. Und noch während ich zutiefst erschrocken und beschämt etwas von meiner Schwägerin und der Dame an der Pforte stotterte, fuhr sie fort: „Egal. Wir würden das gerne für unser Sommerprogramm nächstes Jahr kaufen.“ Das war „Männer und andere Katastrophen“, mein erster Roman. Im selben Monat unterschrieb ich den Vertrag für zwei weitere Romane, und ab da war „Autorin“ mein Beruf. Auch wenn es Jahre dauerte, bis ich mich das erste Mal so bezeichnet habe.
Lea Korte: Auch das Thema Agentur, Verlag oder Self-Publishing sind wichtige Autorenthemen. Was würdest du Neulingen raten? Den direkten Weg zum Verlag – oder erst eine gute Agentur suchen? Was hältst du von Self-Publishing?
Kerstin Gier: Self-Publishing scheint vor allem im E-Book-Bereich eine gute Methode zu sein, um die eigenen Geschichten schnell und völlig unabhängig an die Leser zu bringen – da spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, vor allem nicht, wenn es einem nichts ausmacht, für sich selber die Werbetrommel zu rühren. Mir persönlich gefällt aber die Zusammenarbeit mit einem Verlag sehr, das würde ich auf keinen Fall missen wollen. Zumal für mich die gedruckten Bücher immer noch sehr viel mehr „Gewicht“ haben als E-Books und mir Self-Publishing in diesem Bereich viel zu mühsam wäre und mich total überfordern würde. Ich mag das Gefühl, dass viele professionell arbeitende Menschen am Endprodukt Buch beteiligt sind. Klar, auch als Selfpublisher kann man sich natürlich ein Lektorat und ein gut gemachtes Cover kaufen (und das sollte man auch tun, wenn man gute Qualität vorlegen will), aber damit hat man immer noch kein Marketing und vor allem keinen Vertrieb, der für einen in die Buchhandlungen geht und dafür sorgt, dass die Bücher überhaupt vom Kunden gefunden werden können.
Lea Korte: Hast du noch einen besonderen Tipp, den du „Jungautoren“ mit auf den Weg geben kannst?
Kerstin Gier: Ich habe festgestellt, dass viele angehende Autoren tolle Ideen haben, aber oft über den Anfang eines Buches nicht hinauskommen. Ich glaube, eines der wichtigsten Lernschritte beim Schreiben ist, eine Geschichte komplett durchzudenken und bis zum Ende zu schreiben. Und dabei die eigenen Ansprüche von Perfektionismus erst einmal hinter sich zu lassen. Sonst wird es nämlich niemals fertig. Das Überarbeiten hinterher ist dagegen ein Klacks.