Interview mit Diandra Linnemann

Lea Korte: Liebe Diandra, fast genau sieben Jahre ist es jetzt her, dass du den Autorenkurs bei mir begonnen hast. Seither hast du eine wahre Flut von Romanen geschrieben. Dazu gratuliere ich dir! Im Kurs ist „Andrea, die Lüsterne, und die lustigen Tentakel des Todes“ entstanden, eine herrlich komische und skurrile Geschichte. Sie wurde dann im Chaospony Verlag veröffentlicht. Willst du vielleicht erst einmal etwas zu diesem Buch sagen?

Diandra Linnemann: Puh, wo fange ich an? Begonnen hat alles als Wette in einer Cocktailbar. Eine Freundin wollte mir eine Idee präsentieren, die so absurd sei, dass ich keine Geschichte daraus machen könne. Die Details sind etwas ungenau, muss ich zugeben. Wie gesagt, es war in einer Cocktailbar.

Andrea wird auf jeden Fall von ihren Kollegen “die Lüsterne” genannt und langweilt sich in ihrem Job. Sie ergreift die erstbeste Gelegenheit, einem außerirdischen Forschungsreisenden, den sie in ihrem Keller findet, die Welt zu erklären. Leider ist Bob, wie sie ihn nennt, kein Forscher, sondern ein Späher – und die Invasion der Tentakelwesen steht unmittelbar bevor. Andrea muss Bob also dringend davon überzeugen, dass die Welt gut ist, wie sie ist. Da trifft es sich gut, dass Bob sich für einen begnadeten Komiker hält und unbedingt ins Fernsehen will …

Natürlich geht es ziemlich chaotisch zu, wenn man ein schleimiges Tentakelwesen mit Appetit auf Harzer Käse, einen schwulen besten Freund und die Teilnahme an einer Castingshow mit dem Leben als vernünftige Erwachsene vereinbaren muss.

Lea Korte: Zuletzt hast du eine Serie geschrieben, die den Titel „Gruftgeflüster“ trägt. Ein Jahr lang ist jeden Monat ein neuer Band mit gruseligen Geschichten aus dem Rheinland erschienen. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Diandra Linnemann: Ich brauchte eine kleine Herausforderung, um mich aus einer Schreibflaute zu retten. Das Rheinland ist voller Mythen und Monster, also bot es sich an, beides miteinander zu verbinden.

Lea Korte: Und worum genau geht es bei diesem Projekt?

Diandra Linnemann: Zwölfmal erleben normale Menschen unheimliche Abenteuer im Rheinland. Zwölfmal werden wir mit unseren eigenen Ängsten konfrontiert. Ob die Monster menschgemacht sind oder nicht, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Wir treffen Dämonen, Hexen, gigantische Plattwürmer, Geister und die Bewohner des “anderen Bonn”. Der letzte Band, “Killerclowns alaaf!” ist gerade im Februar erschienen – passend zu Karneval, natürlich.

 

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Lea Korte: Du sprudelst ja nur so von Ideen! Wie machst du das? Was ist die Quelle all dieser Ideen?

Diandra Linnemann: Freunde spotten oft, bei mir seien am Ende immer alle tot – meine Fantasie geht schnell mit mir durch, wenn ich nicht aufpasse. Im Alltag ist das eine lustige Ablenkung, und das Schreiben bietet eine tolle Gelegenheit, mich zur Abwechslung so richtig auszutoben. Im Brotjob übersetze ich nämlich medizinische Fachtexte, da darf ich mir natürlich keine künstlerischen Freiheiten herausnehmen. Aber ich habe als Übersetzerin gelernt, genau zu lesen und exakt zu formulieren. Das hilft enorm beim Schreiben.

Lea Korte: Du schreibst ja nicht „nur“, sondern hast auch einen ziemlich intensiven „Brotberuf“. Wie schaffst du es, da trotzdem so viel zu schreiben?

Diandra Linnemann: Ich versuche, sehr diszipliniert zu sein. Fast jeden Tag knapse ich irgendwo eine Stunde für das tatsächliche Schreiben ab – meist morgens, zwischen Haushalt und Büro. Die Tagträumereien, Plot-Spinnereien und Ideensammlungen finden immer und überall statt. Wenn ich dann am Rechner sitze, muss ich oft nur noch tippen.

Lea Korte: Wie sieht dein Schreibprozess aus? Planst du – oder legst du einfach los?

Diandra Linnemann: Ein bisschen von beidem. Ich brauche einen gutsortierten Plot, ehe ich lostippe. Der ist aber oft so detailliert, dass man ihn schon als ersten (oder von mir aus auch als “nullten”) Entwurf bezeichnen kann. Am liebsten verwende ich dafür altmodische Karteikarten. Auf die schreibe ich alle Szenenideen und schiebe sie hin und her, bis es passt. So kann ich Lücken in der Logik schnell finden und auffüllen. Manchmal steht da allerdings auch zuerst einmal so etwas wie: “An dieser Stelle passiert etwas Unheimliches, alle erschrecken und vergessen, was sie eigentlich vorhatten.” Bis ich diese Szene tatsächlich schreibe, ergibt sich aus dem Rest der Geschichte meist im Detail, was da jetzt genau passiert.

Oft beginnt eine Geschichte für mich mit einem Charakter, der sich in einer überraschenden Situation befindet, oder mit einem bestimmten Ort. Von dort kann ich mit der Karteikartenmethode in alle Richtungen planen, bis ich zufrieden bin.

Auch Charakterinformationen notiere ich auf diese Weise, dann habe ich sie immer griffbereit und kann schnell aktualisieren, wenn ich etwas Neues über meine Charaktere erfahre.

Lea Korte: Du schreibst von fantastischen Welten – und das erfordert immer einen Weltenbau. Was sind da für dich die wahren Herausforderungen?

Diandra Linnemann: Ich versuche, darauf zu achten, dass die Regeln der jeweiligen Welt in sich stimmig sind. In einer anderen Buchserie gibt es etwa Magie in unserer normalen Realität – die muss natürlich Naturgesetzen und Beschränkungen folgen, sonst könnte man sich alles einfach herzaubern und es gäbe nie Probleme. Und wenn ich etwas in einer Welt ändere, überlege ich, was die Konsequenzen sind. Welche Sprichwörter gibt es in einer Welt, in der Städte auf riesigen Felsen über dem Meer schweben? Wie finden Handelsbeziehungen statt? An was für Götter glauben die Bewohner? Wurde je die Seefahrt erfunden oder findet aller Austausch per Zeppelin statt?

Lea Korte: Gibt es etwas, mit dem du Autoren, die jetzt erst loslegen, vielleicht Mut machen kannst? Wie zum Beispiel gehst du damit um, wenn du einmal beim Schreiben hängenbleibst?

Diandra Linnemann: Neil Gaiman sagte sinngemäß: Aus etwas Schlechtem, das du fertigschreibst, lernst du viel mehr als aus etwas Gutem, das du nie beendest. Einen Text, den du einmal geschrieben hast – auch wenn er noch so unbeholfen klingt – kannst du bearbeiten und polieren. In zehn Jahren wirst du sowieso auf deine ersten Schreib-Gehversuche zurückblicken und dich darüber schlapplachen. Das ist gut, denn es bedeutet, du hast dazugelernt. Und wenn du beim Schreiben einmal hängst, tröste dich: Am Ende erkennt man nicht, welche Stellen leicht aus der Feder geflossen sind und welche Wörter du wie Steine geschleppt hast.

Danke für deine tolle Arbeit mit der Romanschmiede, liebe Lea, und dafür, dass ich hier sein durfte!

Herzlichen Dank für das Interview!