Christian Mahlow
Die Walin ist eine fesselnde Parabel, die vom einsamen und absurden Kampf eines Mannes um das Überleben eines Zwergwal-Weibchens erzählt. Der zurückgezogene Mann hatte seine Bewunderung für die Walin im Ozeanarium entdeckt und viele Male genährt, als sie eines Morgens plötzlich in seinem Wohnzimmer liegt. Fieberhaft bemüht er sich, Hilfe zu holen, aber niemand glaubt ihm, dass ein Wal in seiner Wohnung liegt. Ebenso überfordert wie blind zur Rettung der Walin entschlossen, tut er alles, um dem langsam sterbenden Koloss zu helfen. Seine verzweifelten Bemühungen sind ein kafkaesker Grenzgang zwischen unerfüllter Liebe, Schuldgefühlen und Selbsterkenntnis.
Lea : Du hast dich guten Geschichten verschrieben, seien es Romane, Theaterstücke oder Filme – du hast Theaterwissenschaft studiert und Dramaturgie – und auch meine Autorenausbildung erfolgreich absolviert. Jetzt wurde dein erster Roman veröffentlicht. Was für ein Gefühl war es, das erste „Buchbaby“ in den Händen zu halten?
Christian: Es fühlt sich immer noch ein bisschen seltsam an. 2017 habe ich damit begonnen, Die Walin zu schreiben und Ende Juli diesen Jahres ist das Buch bei Outbird erschienen. Der Schreibprozess war intensiv, weil die Geschichte mir persönlich viel bedeutet und plötzlich ist das Buch ‘fertig’. Ich könnte jetzt stolz darauf sein oder mich einfach freuen, aber tatsächlich muss ich mich noch daran gewöhnen, dass die Arbeit an diesem Projekt jetzt beendet ist. Auf meinem Schreibtisch steht ein ganzer Stapel Exemplare der Walin. Wahrscheinlich werde ich irgendwann mal daran vorbeigehen und dann wird klar werden, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Ich brauche manchmal sehr lange bis ich Dinge wirklich verstehe. Da habe ich mir mit dem Schreiben aber eine passende Beschäftigung ausgesucht. Das Schreiben und die Langsamkeit vertragen sich meiner Meinung nach gut.
Lea: „Die Walin“ erzählt vom einsamen und absurden Kampf eines Mannes um das Überleben eines Zwergwal-Weibchens, eine Parabel, bei der es im Grunde um unerfüllte Liebe, Schuldgefühle und Selbsterkenntnis geht. Wie bist du auf die Idee zu diesem Roman gekommen?
Christian: Ich gebe Dir darauf zwei Antworten. Die erste klingt ein bisschen kitschig und mit der zweiten wird wahrscheinlich klar, was ich meine. Ich bin tatsächlich eines Abends ins Bett gegangen und hatte kurz vor dem Einschlafen das Bild eines Wals im Kopf, der im Garten eines Hauses liegt, dass ganz nah am Strand steht. Als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, wusste ich, dass der Wal nicht im Garten liegt, sondern in einer Wohnung. Am gleichen Morgen in der S-Bahn zur Arbeit habe ich den Plot fertig skizziert und knapp vier Wochen später stand das erste Draft. Schon ein bisschen kitschig, oder? Ich hatte erwähnt, dass mir diese Geschichte persönlich viel bedeutet. Was darin verhandelt wird, habe ich lange Zeit mit mir herumgetragen. Das Thema hat in mir gearbeitet, ohne dass ich wusste, dass daraus eine Geschichte würde. Der Wal, das Bild vor dem Einschlafen, hat mir den Zugang geliefert, mit dem ich in der Lage war, dass, was mich lange bewegt hat, in eine Geschichte zu verwandeln.
Lea: In Beschreibungen zur Walin taucht oft das Wort kafkaesk auf, bzw. die Beschreibung magischer Realismus. Was reizt dich daran, die Welt deines Buches mit Phänomenen jenseits unserer Realität zu füllen?
Christian: Die Walin ist die erste Geschichte, in der dieser magische Realismus oder das Kafkaeske auftauchen. Während ich das Buch geschrieben habe, habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich habe die Geschichte geschrieben und es gab keine Frage nach dem warum oder wieso. Erst im Nachhinein fange ich an zu verstehen, wie das Buch entstanden ist und was der magische Realismus oder das Kafkaeske damit zu tun haben. Ich habe die Geschichte aus dem Bauch heraus geschrieben. Damit meine ich einerseits die Spontanität und Schnelligkeit und andererseits ein ziemlich verworrenes Knäuel von Gefühlen. Die Walin ist keine akkurate Beschreibung eines ‘wirklichen’ Geschehens, sondern sie ist eine Reise ins Innere: Angst, Trauer, Sehnsucht, und so weiter. Ich habe mit der Walin gelernt, dass ich mich diesen Themen nähern kann, wenn ich eine Schranke öffne. Eine Schranke, die sagt, die Dinge müssen so geschrieben sein, wie die Welt, die ich draußen vor der Tür sehe. Wenn diese Schranke offen ist, kann ich in eine ganz neue Welt abtauchen, in der ganz viel möglich und sagbar ist, in der ich schwer ausdrückliches in Bilder verwandeln kann. So wird für mich eigentlich unsagbares erzählbar.
Lea: Wo siehst du die Unterschiede beim Schreiben eines Romans, eines Theaterstücks oder eines Drehbuchs? Welche Qualitäten braucht ein Autor für welche Sparte? Oder kann jeder alles schreiben?
Christian: Das ist eine sehr spannende Frage. Ich denke, dass prinzipiell jeder alles schreiben kann. Für mich stellt sich eher die Frage, wie gut sich der oder die Schreibende damit fühlt. Ich schreibe am liebsten Theatertexte oder Prosa, weil ich das mit viel Ruhe machen kann und vor allem ohne Druck machen kann. Im Schreibprozess von Drehbüchern, so wie ich ihn kennengelernt habe, sind viele Leute involviert: Co-Autoren, Regisseure, Produzenten, die haben alle eine Haltung zum Stoff und natürlich Ideen. Das ist eine Disziplin für Teamplayer, in der tolle Sache entstehen können. Ich brauche ein bisschen Abgeschiedenheit und Ruhe, da können sich bei mir Gedanken entwickeln, die ich spannend finde und von denen ich manchmal selbst überrascht werde – das ist für mich das eigentlich spannende am Schreiben.
Lea: Was sind deine nächsten Pläne? Worauf dürfen wir uns freuen?
Christian: Natürlich dürfen sich alle, die ‘Die Walin’ noch nicht gelesen haben, auf das Buch freuen, dass es erst seit ein paar Wochen im Handel gibt und auf viele Lesungen, die hoffentlich in diesem Herbst stattfinden können. Du meinst aber sicher neue Projekte. Ich schreibe bereits an einem neuen Roman: Die Frau mit dem Kaninchenhotel. Ich hoffe, dass ich ihn Ende nächsten Jahres fertig habe und er dann wieder bei Outbird erscheinen wird. Zum Inhalt will ich noch nichts verraten, aber der sogenannte magische Realismus spielt wieder eine wichtige Rolle.
Lea: Gibt es noch etwas, was du deinen Lesern oder anderen Autoren noch mit auf den Weg geben willst?
Christian: Ja, den Autor*Innen. Bevor ich Deinen Kurs gemacht hatte, hatte ich viel mit dem Thema „Schreibblockade“ zu tun. Ich dachte, ich könnte nur in bestimmten Momenten schreiben. Die Sache mit der Muse. Ich habe aus Deinem Kurs mitgenommen, dass man eigentlich immer schreiben kann. Es geht nicht darum, wie gut oder schlecht der Text ist, den ich auf das leere Blatt bringe. Es geht nur darum, dass ein Text da ist. Ich finde Schreibblockaden haben viel mit dem inneren Kritiker zu tun. Den muss man irgendwie ruhig gestellt kriegen – zumindest eine zeitlang. Ich konzentriere mich beim Schreiben sehr auf den ersten Entwurf. Wenn ich eine Idee vom Buch habe, schreibe ich es auf. Dabei lese ich nicht, was ich am Vortag geschrieben habe. Das steckt als Idee in meinem Kopf. Ich lese auch keine Sätze zweimal und überprüfe sie. Ich schreibe vorwärts. Immer den nächsten Satz. Das hilft mir die Welt entstehen zu lassen. Irgendwann ist dann der erste Entwurf da. Dann kenne ich die Welt, die Figuren, ich habe für alles ein Gefühl und vor allem ist da ein großer Stapel gefüllter Seiten. Erst wenn das da ist, geht das Schleifen los. Aber das ist ein Schleifen ohne Verzweiflung. Der Roman ist ja schon einmal fertig aufgeschrieben.